Sind die Gedanken wirklich frei? Und haben wir eigentlich Gedanken oder haben umgekehrt diese etwa uns?

Das Konzept der Memetik ermöglicht überraschende Reflexions- möglichkeiten unserer Überzeugungen. Offensichtlich fällt es uns schwer, angemessene Strategien für die Herausforderungen von Gegenwart und Zukunft zu finden.

Alte Rezepte versagen bei neuen Problemen. Trotzdem können wir ausgetretenene Denkpfade nur schwer verlassen. In einem Artikel stieß ich mal wieder auf den Begriff „Mem“. In einem Interview verwendete Kai E. Schulze, der Autor des Buches „Wohlstand und Gesundheit für alle – Das Ende des Raubtier- und Heuschrecken-Kapitalismus“ (Das Buch ist Mist), den Begriff „Mem“, um Fehlentwicklungen im Gesundheitswesen zu erklären. Das Konzept „Mem“ ist ein interessanter Denkansatz bei der Diskussion sozialer Phänomene. Daher versuche ich, diesen seltsamen Begriff „Mem“ kurz zu erläutern und ihn dann in Zusammenhang mit dem Diskurs der aktuellen Reformpolitik zu setzen.

1976 wurde der Begriff „Mem“ erstmals vom Biologen Richard Dawkins in seinem Buch „Das egoistische Gen“, zur Beschreibung sozialen Verhaltens gebraucht. Dawkins „Mem“ ist das kulturelle Äquivalent zum biologischen Gen und daraus resultiert die Theorie der „Memetik“. Diese erweitert die Darwinsche Theorie der Selektion auf den Bereich der Kultur. Gedankeneinheiten/Ideen werden innerhalb der Kultur ständig reproduziert. Wie ein Gen fungiert dabei jedes „Mem“ als Replikator und es wirken dabei die gleichen Prinzipien wie in der Evolutionstheorie. Die deterministische Kraft solcher Denkmuster nimmt mit der Anzahl der Wiederholungen zu und wird schließlich zur ungeprüft angenommenen Wahrheit. Da ein Verlassen der eingeübten Denkmuster von der Gesellschaft sanktioniert wird, erfolgt also eine Selektion der „Meme“ in Richtung des bereits vorherrschenden Memtypus.

Im Informationszeitalter potenziert sich nun die Reproduktionshäufigkeit der „Meme“ und damit auch ihre Macht über unser Urteilsvermögen. Allerdings ist es auch viel einfacher für das Individuum geworden, neue „Meme“ zu verbreiten. Das zunehmend partizipatorische Informationszeitalter (Web 2.0?) erlaubt auch subversiven Denkmustern eine schnellere Verbreitung. Da „Meme“ einen reversiblen Charakter haben, besteht die Hoffnung, die vorherrschenden Denkmuster vielleicht schneller den Realitäten einer sich verändernden Welt anzupassen, als dies in der Vergangenheit möglich war. Die Gehirne der Menschen sind die Wirte auch solcher Meme, die wie Viren in sie eindringen und neues Verhalten hervorrufen können.

Gerade in diesem Moment werden Sie, die LeserInnen, einigen meiner „Meme“ ausgesetzt. Womöglich infiziere ich Sie durch meine Überlegung und Sie verbreiten meine Darstellung sogar weiter. Dann habe ich einen „memischen Virus“ in die Welt geschrieben. Für diese Übergrifflichkeit werde ich mich nicht entschuldigen, durch einen Kommentar zu meinen Überlegungen können Sie sich ja bei mir mit einem Ihrer „Meme“ revanchieren. Streng genommen muss ich mich überhaupt nicht entschuldigen, denn schließlich bin ich im Sinne dieser Theorie ganz wie Sie jetzt ein bloßes Opfer! Hätte ich nicht o.g. Interview gelesen… – falsch! Richtig: Hätte dieses Mem nicht über die Zwischenwirte Dawkins und den Autor meine Gehirnwindungen verseucht, dann wären auch Sie von dieser Infektion verschont geblieben.

Ob das Konstrukt der „Memetik“ tatsächlich ein allgemein zutreffendes bzw. taugliches Modell für die Genese des öffentlichen Bewusstseins abgibt, kann ich nicht entscheiden. Es ist allerdings mindestens interessant, einige zur Zeit als unumstößlich angenommene Prämissen der Wirtschafts- und Sozialpolitik zu überprüfen. Womöglich stimmen unsere durch dauernde mediale Wiederholung festzementierten Grundannahmen trotzdem nicht (mehr) mit der Realität überein?

Hier drei Beispiele:

Behauptung: Deutschland ist ein Hochsteuerland. Realität: Tatsächlich lag im Vergleich der OECD-Länder schon im Jahr 2003 die Gesamtsteuerquote mit 22 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) eher niedrig. Besonders gering aber war in Deutschland der Anteil der von Unternehmen gezahlten Steuern: Er machte nur 9 Prozent aller in Deutschland gezahlten Abgaben aus und lag mit 3,3 Prozent vom BIP höchstens halb so hoch wie bei den meisten westeuropäischen Nachbarn.

Behauptung: Deregulierung fördert immer den Wettbewerb und senkt die Preise. Realität: Durch die Liberalisierung der Strommärkte hat der Preisanstieg noch zusätzlich an Dynamik gewonnen. Es hat sich gezeigt, dass im engen Energiemarkt die Oligopolisten ihre Marktmacht zum Preisdiktat genutzt haben, statt in einen echten Wettbewerb zu treten. Es geht auch anders: Was hat die Energiewirtschaft mit der Massenarbeitslosigkeit in Deutschland zu tun?

Behauptung: Die Berufstätigkeit der Frauen senkt die Geburtenrate. Realität: Es zeigte sich bis Anfang der 80er -Jahre ein negativer Zusammenhang zwischen Geburtenrate und der Frauenerwerbsquote. Allerdings weisen neue empirische Studien für OECD-Länder auf das genaue Gegenteil hin: Eine positive Korrelation zwischen Geburtenhäufigkeit und Frauenerwerbstätigkeit.

Der sogenannte gesunde Menschenverstand, das Bauchgefühl und die Stammtischlogik, im Verein mit der öffentlichen wie veröffentlichten Meinung, resultieren öfter auf Milchmädchenrechnungen, als wir glauben möchten. Generell wird eine fehlerhafte Grundannahme durch Wiederholung nicht richtiger, worauf die Metapher von den vielen Fliegen schon vor Dawkins aufmerksam machen wollte. Es kann also nicht schaden, eingeübte Paradigmen regelmäßig zu überprüfen.

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Ein Gedanke zu „Sind die Gedanken wirklich frei? Und haben wir eigentlich Gedanken oder haben umgekehrt diese etwa uns?

  1. M. Schulz

    Da hat sich aber der Herr May selber sehr lächerlich gemacht, weil allzu offensichtlich ist, dass das Thema der Memetisch-Genetischen Evolutionstheorie leider viel zu hoch für ihn ist…

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