Thomas Hobbes: Willkommen im Weltbürgerkrieg

Mister Hobbes lernte seine Artgenossen während der englischen Bürger- und Konfessionskriege (1642 bis 1649) kennen und schätzen. Seine Sicht des menschlichen Wesens ist dementsprechend ernüchternd.

Er billigt dem menschlichen Bewusstsein keinen Sonderstatus mehr zu. Kein Weltgeist, keine Moral oder abstrakte Ethik bestimmen das Denken und Handeln in der Welt. Vorstellungen sind lediglich Kombinationen von Sinneseindrücken. Dabei verketten sich die Gedanken nach dem Gesetz der Assoziation. Alles folgt einfach natürlicher Kausalität – einer unausweichlichen Kausalität. Dieser lückenlose Kausalzusammenhang lässt keinen Platz für einen Gott. An dessen Stelle tritt die Selbsterhaltung.

Doch im Gegensatz zum Tier besitzt der Mensch die Gabe der Vernunft. Die befähigt ihn dazu, in die Zukunft zu schauen, doch nur zum Preis immerwährender Angst. Der Mensch fürchtet nun, dass ihm die Nahrungsvorräte ausgehen oder sie von Artgenossen geraubt werden. Daher braucht er Macht. Es herrscht der Krieg aller gegen alle. Der Wille ist nicht frei, sondern nur ein opportunistischer Kompromiss aus Furcht und Gier. Heute wird der “Freie Wille” auch aus neurophysiologischer Perspektive in Frage gestellt. Möglicherweise sind wir hirnorganisch viel stärker determiniert als wir glauben wollen – der freie Wille ist nur ein gutes Gefühl?

Selbst Gut und Böse sind relativ. Gut nennen wir die Ziele unserer Neigung, böse die unserer Abneigung. Was wir nicht mögen, das fürchten wir und was uns Angst macht, das hassen wir. So lebt der Mensch in seinem infernalischen Urzustand. Auch der kompromissloseste Selbsterhaltungstrieb ist schließlich zum Scheitern verurteilt. Der Tod lässt sich nur aufschieben.

Um diese grausame Erkenntnis vor sich selbst zu verbergen, erfindet Homo Sapiens seit mindestens fünftausend Jahren irgendwelchen Nonsens. Religionen, Konfessionen und Ideologien dienen der Verschleierung der verzweifelten Selbsterhaltung. Mit der Religion kam die Moral in die Welt und mit ihr die Begriffe “gut” und “böse”. Wenn das Bewusstsein mit dem Preis der Angst bezahlt wurde, wird diese Illusion mit ausweglosen Konflikten erkauft. Wer die Moral für sich beansprucht, lässt dem Gegner nur die Unmoral. Mit dem Bösen einen Kompromiss zu schließen, wäre doch böse oder? Also wird der Kampf bis zur vollständigen Vernichtung des jeweils Bösen geführt. Moralisten schrecken vor nichts mehr zurück. Die Moral ist noch gefährlicher als der Selbsterhaltungstrieb, sie betäubt sogar die Angst vor dem eigenen Tod.

Hobbes Analyse ist finster und heute mindestens noch so aktuell wie im 17. Jahrhundert. Der Mann schlug aber auch eine Lösung vor: In seinem Buch “Leviathan” entwirft er den absoluten säkularen Staat als eine exakt funktionierende, neutrale Maschine. Die Menschen schließen einen Gesellschaftsvertrag und übertragen alle Gewalt auf dieses Gebilde. Hobbes Staat steht über den Individuen und deren subjektiver Moral. Er trennt die Kontrahenten und erzwingt den Frieden mit allen Mitteln. Diesem Staatsabsolutismus widersprach sein Landsmann John Locke. Der entwickelte die Lehre von der Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Legislative. Ein Blick in die Geschichte des 20. Jahrhunderts genügt, um zu wissen, dass Hobbes Idee oft und blutig gescheitert ist. Solche Staaten wurden zu Chimären aus Rationalismus und Religion. Die totalitären “Ismen” bildeten unvermeidlich ein Amalgam der schlimmsten menschlichen Eigenarten. Der hemmende Selbsterhaltungstrieb wurde mit pseudoreligiösem Tand betäubt und die individuelle Moral mit biologischen Notwendigkeiten außer Kraft gesetzt. Der ultimative Mörder trat in die Welt. Der Kampf um die knappen Ressourcen wird jetzt – mit proportional zur Weltbevölkerung steigender Brutalität – weitergeführt werden.

Thoma Hobbes war ein radikaler Denker. Freunde hat er sich zu seiner Zeit nicht gemacht und heute wird man ihn einfach als philosophisches Artefakt abtun. Allerdings ist die Bigotterie der Gläubigen seitdem nicht kleiner geworden. Das weckt keine großen Hoffnungen auf einen schnellen zivilisatorischen Fortschritt. Womöglich lag der Landpfarrerssohn aus Malmesbury mit seinem negativen Menschenbild gar nicht so falsch. Trotzdem trat Hobbes als einer der ersten für Gleichheit und Freiheit, für das Recht auf Eigentum und der Unverletzlichkeit der Person ein.

Übrigens: Hobbes postulierte das Naturrecht auf Selbstverteidigung. Wenn die Staaten, also die “Leviathane”, ihre Schutzfunktion nicht mehr erfüllen können, weil sie womöglich rücksichtslosen Partikularinteressen zum Raub fielen, hat das Individuum ein Recht auf Notwehr. Stellt sich bloß noch die Frage, wann tritt dieser Fall ein und wie kann die Notwehr aussehen? Wenn man Hobbes ernst nimmt, reagiert der Mensch irgendwann ganz automatisch. Die Selbstverteidigung erfolgt nicht aus freiem Willen, sondern aus einem mechanistischen Affekt.

[Bildnachweis: © Alexander Otto; CC License Deed 2.0]

6 Gedanken zu „Thomas Hobbes: Willkommen im Weltbürgerkrieg

  1. ein zwischenruf

    praxisrelevant:

    Selbstverteidigung wird zur Kunst, indem sie lernt, die Reflexmechanismen (das Handeln aus dem Affekt heraus) zu beherrschen.

  2. zufälliger besucher

    wenn ich mir eine kleine anmerkung erlauben darf:

    der gedanke der gewaltenteilung geht mehr noch als auf locke auf montesquieu zurück, zumindest wird letztgenannter regelmäßig in dem in rede stehenden zusammenhang erwähnt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

I accept that my given data and my IP address is sent to a server in the USA only for the purpose of spam prevention through the Akismet program.More information on Akismet and GDPR.

*

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.