Der EU-Reformvertrag soll verfassungswidrig sein – irgendwie unheimlich oder?

Europa-PiktogrammEs gibt Dinge, die sind jedermann/frau leicht verständlich und es gibt Sachen, die das deutlich nicht sind – so etwa der EU-Reformvertrag. Wer jetzt ausgerechnet hier eine kompetente Erläuterung erwartet, den muss ich enttäuschen. Tatsächlich bin ich kaum einer dezidierten Meinung fähig.

Mensch möchte am liebsten gar nicht mit EU-Kram belästigt werden. Dem trägt die Große Koalition Rechnung. Die EU-Verfassung-light ist derart undurchschaubar, dass gleich ganz auf volkstümliche Erklärungsversuche verzichtet wurde. Beinah, aber eben nur beinah, ist BürgerIn sogar dankbar dafür, dass sie nicht auch noch drüber abstimmen soll. Der Zustand der Entmündigung hat also durchaus Vorteile – zumindest solange der Vormund wohlmeinend ist. Da kamen aber zuletzt begründete Zweifel auf.

In Sachen EU-Reformvertrag wurde mein staatsbürgerliches Urvertrauen heute erneut gestört: Koalition ändert Grundgesetz …

Kurz zusammengefasst, geht es um folgende Sache: Die Annahme des EU-Reformvertrags ist ein Bruch des Grundgesetzes in seiner jetzigen Form. Das beschränkt die Übertragung von Souveränitätsrechten an die Europäische Union ausdrücklich. Es dürfen nur solche nationalen Rechte abgetreten werden, die zur Funktion einer Union ansonsten selbständiger Mitgliedsstaaten absolut notwendig sind – mehr nicht. Es gilt das Prinzip der Subsidiarität. Der EU-Reformvertrag geht über diese Beschränkung deutlich hinaus. Daher will die Große Koalition das Grundgesetz etwas modifizieren. Das gefällt nicht jedem. aristo blog schlägt eine offene eMail an die Abgeordneten des Bundestages vor. Darin sind die Bedenken gegen die geplante Verfahrensweise detailliert ausgeführt. Ich kann der Argumentation durchaus folgen.

Andererseits bin ich ein derart extremistischer Europa-Befürworter, dass ich geneigt bin, gewisse undemokratische Verfahrensweisen bei dessen Konstitution zu tolerieren. Meine Meinung zu o.g. Grundgesetzänderung ist daher mindestens ambivalent. Nicht ambivalent dagegen ist meine Meinung über gewisse Gegner des EU-Reformvertrages. Wenn der europapolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Markus Löning erklärt: „Der EU-Reformvertrag enthält, bei allen Fortschritten, nicht mehr das Ziel des freien und unverfälschten Wettbewerbes. Das ist sehr schlecht für die europäischen Verbraucher“ und die NPD sich um deutsche Souveränität sorgt, dann bin ich fast beruhigt genug, um in Duldungsstarre zu verharren – aber eben nur fast. Und der European Union Law Blog  meint: Don’t panic!

Die Frage nach der Notwendigkeit eines außenpolitisch handlungsfähigen Europa stellt sich nicht wirklich. Dieses Gebilde ist für die allermeisten Erdenbewohner ein Utopia. Damit dort – in Utopia – so utopische Errungenschaften wie Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Meinungsfreiheit, Sozialversicherungssysteme, Gleichberechtigung, öffentliche Schulen, Universitäten und Säkularität gewährleistet bleiben, muss Utopia sich gegen seine Feinde behaupten können. Sonst gewinnen Gesellschaftsmodelle nach postsowjetischem und/oder chinesischem Zuschnitt die globale Oberhand. Die werden garantiert nicht zögern, uns ihre Normen aufzuzwingen.

Um so schlimmer, wenn die Weltmacht Europa ohne ausdrückliche Zustimmung ihrer Bewohner entstünde. Ein Geburtsfehler der sich rächen könnte. Vergewaltigung ist eine bewährt suboptimale Methode zur Familiengründung. Vielleicht sollten wir uns die Mühe machen und Utopia eine demokratische Legitimation gönnen?

[Bildnachweis: wikipedia; © Jochen Gros; GNU-Lizenz für freie Dokumentation]

9 Gedanken zu „Der EU-Reformvertrag soll verfassungswidrig sein – irgendwie unheimlich oder?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

I accept that my given data and my IP address is sent to a server in the USA only for the purpose of spam prevention through the Akismet program.More information on Akismet and GDPR.

*

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.