Wochenendbeilage 06/2008: Transhumanismus

Transhumanismus – der Begriff, der ziemlich exakt die Vision chefarztfraulicher Virtualität benennt. Wenn sie nicht von elektrischen Schafen träumt, halluziniert mein Geisteskind von der vollständigen Emanzipation des Menschen: einer Befreiung von biologisch determinierten Beschränkungen, ebenso wie vom evolutions-psychologischen Ballast vergangener Daseinsformen.

Seamaid

Die biologische Evolution transformiert sich zu einem Phänomen der kulturellen Evolution. Die ist grundsätzlich unbeschränkt veränderlich. Diese Wandlungsfähigkeit ist das eigentliche Kennzeichen des Menschseins, was manche Artgenossen hartnäckig leugnen. Der technisch naturwissenschaftliche Fortschritt ist dabei der dynamischste Teil der Kultur.

Die Geisteswissenschaften humpeln hinterher. Im besten Falle werden philosophische und soziologische Konzepte zeitnah nachgereicht – im schlimmsten Fall wird einfach blockiert. Besonders Theologen betreiben Bestands-Ethik. Dieses Sorte Unwissenschaftler mag Veränderungen nicht nur nicht, sie greift auch gern mal zu Feuersbrünsten, wenn’s intellektuell zu strapaziös wird. Gründervater Julien Offray de La Mettrie bedurfte der Protektion Friederich des Großen, um L’Homme Machine ungelyncht zu überstehen.

Trotzdem befreit Technologie den nackten Affen nicht nur von dichter Ganzkörperbehaarung und vereiterten Backenzähnen, sondern zusehends auch von evolutionsbiologischen Determinismen.

Wir müssen nicht mehr sein, was wir sind. Wir können werden, was wir sein wollen, worüber wir uns allerdings langsam klar werden sollten (Wikipedia zum Transhumanismus).

Durch bewusste Veränderungen an der Spezies selbst wird die Erweiterung der intellektuellen, physischen und psychischen Kapazitäten des Menschen möglich. Technologien wie Gen- und Biotechnologie, molekulare Nanotechnologie, Informations- technologien, Kognitionswissenschaft, künstliche Intelligenz, Robotik, Neuroprothetik und alle Arten Medizintechnik stecken gerade erst in den Kinderschuhen. In evolutionärem Zeitmaßstab genügte bloß ein Wimpernschlag fürs aktuelle Angebot im Bionic Body Shop der IEEE. Da kann frau sich die heute verfügbaren Updates in den Warenkorb legen.

Soviel schöne neue Welt ist natürlich unheimlich. Nietzsches missbrauchter Übermensch stapft gestiefelt durchs Gemüt: Hybris, Faschismus und Menschenverachtung? Bloß, so falsch lag Nietzsche nicht. Feuerbach formulierte es netter: „Der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde.“ Gott als menschliche Vision des perfekten Menschen, mehr nicht. Der Übermensch ein Wesen, dass aus autokratischer Selbstermächtigung existiert und handelt. Homo Sapiens die Selbstgestaltungsmöglichkeiten abzusprechen, dass wäre menschenverachtend.

Damit Homo Superior sein Korrektiv von anderen Übermenschen verpasst bekommt, muss die Menschoptimierung eine kollektives Unternehmen werden. Einen bionisch aufgerüsteten Frankfurter Zukunftsrat braucht definitiv niemand! Die Menschoptimierung beginnt nämlich im Kopf.

Der Bioethiker James Hughes hat sich zu den gesellschaftlichen Konsequenzen ein paar Gedanken gemacht: Citizen Cyborg – Why Democratic Societies Must Respond to the Redesigned Human of the Future. (ISBN 0-8133-4198)

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